Von Roland Spiller
Die französischsprachigen Literaturen des Maghreb, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg in mehreren Wachstumsschüben entwickelten, haben in der frankophonen Welt einen besonderen Status. Der Begriff “Maghreb” ist von dem arabischen Wort für “Westen” (g.arb) abgeleitet. Die damit bezeichneten Länder Algerien, Marokko und Tunesien verfügen über die gesamte arabische Schriftkultur und eine mindestens ebenso reiche mündliche Literaturtradition der Berberkulturen. Das Ansehen und die Vitalität der Schriftkultur unterscheidet die kulturelle Heterogenität des Maghreb zu jener Schwarzafrikas und der Karibik. Die politische Zugehörigkeit zu der als umma (Mutter) bezeichneten Gemeinschaft der arabischen Nationen läßt allerdings auch die Unterschiede gegenüber dem arabischen Osten, dem mašreq (von dem arabischen Wort für “Osten”), und dem Arabischen schlechthin hervortreten. Bagdad, Damaskus und Kairo waren in kultureller Hinsicht zwar maßgebliche Hauptstädte, aber zu keiner Zeit die alleinigen Orientierungspunkte des arabischen Okzidents. Die Gründe dafür sind die geographische Lage im äußersten Westen der islamischen Machtsphäre in unmittelbarer Nachbarschaft Europas, die Bindung an die Kolonialmacht Frankreich und die Tatsache, daß sich der Islam erst im Zuge der arabischen Eroberung im 7.Jahrhundert zur prägenden kulturellen Kraft entwickelte. Die in Nordafrika ansässigen Berberstämme waren seit der Antike Eroberungskriegen ausgesetzt. ...